Sternenkinder – das kurze Glück
Sternenkinder nennt man Babys, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Für die betroffenen Eltern ist so ein Ereignis ein traumatisches Erlebnis, das tiefe Spuren hinterlässt. Auf viele Wochen der Vorfreude folgen Trauer, Verzweiflung, Schmerz und nicht selten auch Schuldgefühle. Familienangehörige und Freunde fühlen sich oft hilflos angesichts dieser Flut von Empfindungen. Sie wollen gerne trösten und wissen doch nicht wie. Also schweigen sie lieber, ziehen sich zurück, aus Angst, etwas falsch zu machen. Anita W. ist selbst mehrfache Sternenmama und weiß aus eigener Erfahrung wie sich Betroffene in einer solchen Situation fühlen und was helfen kann.
Die große Freude
Nach jahrelangem Hoffen und unzähligen negativen Tests – endlich schwanger! Ein unbeschreibliches Gefühl, Freude und Glück pur, man kann es nicht fassen! Unendliches Warten bis zum ersten Frauenarzttermin. Dann die erlösenden Worte: „Ja, wir haben einen Herzschlag und soweit ist alles in Ordnung!“ Ein Gefühl, wunderschön und unbeschreiblich, Erleichterung, die Welt steht still. Man fährt heim und freut sich, Woche für Woche, jeden Tag, jede Stunde. Dann wieder ein Termin beim Frauenarzt, man sitzt und wartet, hofft und bangt: Schlägt das Herz noch, ist alles in Ordnung? Angst! Panik! Man schaut auf das Bild am Monitor und die Reaktion der Ärztin. Es ist alles okay, alles passt, das Kind wächst und das Herz schlägt.
Ein weiterer Kontrolltermin, ich bin schon fast in der 12. Woche und habe mich total auf das kleine Wesen eingestellt. Wieder im Warteraum, ich freue mich auf die Bilder am Monitor, auf den Herzschlag, auf das Ultraschallfoto. Die Miene der Ärztin verändert sich, mein Blick geht auf den Monitor, dann wieder auf das Gesicht der Ärztin und ich weiß, etwas stimmt jetzt nicht. Es wird still, keiner spricht, die Ärztin versucht genau zu schauen, vergrößert, verkleinert das Ultraschallbild. Stille, diese bedrohliche Stille, die viele Frauen schon kennen. Die Ärztin schaltet den Monitor aus, beendet die Untersuchung, geht näher zu mir und sagt: „So leid es mir jetzt tut, wir haben keinen Herzschlag mehr!“
Die unfassbare Nachricht
Sekunden, in denen die Welt stillsteht. Ich weiß, es ist vorbei. Kein Herzschlag mehr bedeutet: Mein Kind ist tot und ich kann nichts tun. Das Herz hat einfach aufgehört zu schlagen. Ich ziehe mich an, wir besprechen die weiteren medizinischen Schritte. Aber mein Kind ist gerade gestorben! Versteht hier denn keiner meinen Schmerz, meine Traurigkeit, das Gefühl allein zu sein, allein mit einem toten Kind im Bauch. Draußen geht der Alltag weiter, nur bei einer Sternenmama bleibt die Zeit stehen. Jetzt braucht man jemanden, der den Weg mit einem geht. Einfach jemanden der nur da ist, einen in den Arm nimmt und festhält. Allein zu sein ist das Schlimmste!
Manchen Müttern und auch mir ist das sogar mehrere Male passiert! Es ist die Hölle, dieses Gefühl, dass du nichts tun konntest um dieses Lebewesen, dein Kind, zu retten. Die Machtlosigkeit, die Hilflosigkeit, die Verzweiflung und das nicht ernst genommen werden in dieser Situation sind das Schlimmste. Es ist sehr wichtig, dass es Menschen gibt, die den Schmerz mittragen und aushalten, die da sind, um dich zu halten oder einfach nur, um die Geschichte immer und immer wieder zu hören. Es gibt nichts Schlimmeres als wenn jemand sagt: „Es war ja eh noch so klein, du hast ja schon ein gesundes Kind, sei froh, dass es jetzt passiert ist und nicht später. Es wäre eh behindert gewesen, es ist besser so, es sollte halt nicht sein.“ Würde man das zu einem Angehörigen sagen, wenn jemand gerade verstorben ist: Du hast ja eh noch genug Angehörige? Niemand würde sich das trauen! Aber zu einer Sternenmama darf man das sagen?! Ich habe das erlebt, mehrmals, im engsten Umfeld.
Schweigen ist der falsche Weg
In dieser Zeit braucht man Menschen um sich, um zu reden! Leider wird von Sternenmüttern immer wieder verlangt, dass sie schweigen und das Erlebte für sich behalten. Das habe ich auch getan, die ersten zwei-, dreimal. Aber beim vierten, fünften Mal, habe ich angefangen darüber zu reden und offen mit dem Thema umzugehen. Seitdem geht es mir besser! Ja, ich bin Mama von 6 Kindern. 5 Sternenkinder wohnen im Himmel, eines lebt bei mir auf dieser Erde – dafür bin ich sehr dankbar.
Ich wünsche mir, dass mehr Sternenmamas offener mit dem Thema umgehen und den Mut haben zu sagen: „Ja, ich bin eine Sternenmama und bin stolz drauf!“ Nicht jeder will so offen damit umgehen. Aber die, die es wollen, sollten die Möglichkeit haben es zu tun. Sternenmamas sollten das Recht haben, von ihren Kindern würdevoll Abschied zu nehmen und sie loslassen zu können. Es sollte in jedem Friedhof eine Gedenktafel geben, einen Ort der Erinnerung und der Trauer, wo Sternenmamas die Möglichkeit haben, eine Kerze anzuzünden! Es sollte immer die Möglichkeit geben mit jemandem zu sprechen, eine Begleitung zu haben! Mehr Aufklärung in den Krankenhäusern! Mehr Informationen über die Möglichkeiten die man hat! Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen dieses Themas annehmen und mithelfen, dass auch Sternenmamas in der Gesellschaft einen Platz finden. (Anita W.)
Fotos sind wertvolle Erinnerungen
Wenn wir etwas Kostbares verlieren ist die Erinnerung daran umso wichtiger. Dies gilt auch und besonders für Sternenkinder. Man kommt vom Krankenhaus oder der Hebamme heim – ohne Baby. So unheimlich leer im Leben „danach“. Bilder von den Kleinen, die wir nur ganz kurz begleiten durften, schaffen eine bleibende Verbindung, geben ihm einen Platz innerhalb der Familie. Wunderbare Erinnerungen für die gesamte Familie – festgehalten von professionellen Fotografen, die freiwillig und auf unbezahlter Basis arbeiten. Ab der 14. Schwangerschaftswoche sind sie für die Sternenkinder da, um die Kleinen für immer „greifbar“ werden zu lassen. „Kein Händchen ist uns Fotografen zu winzig, kein Füßchen zu klein“, erzählt Margit Kundigraber, die als Fotografin für „Dein Sternenkind“ im Norden und Süden Österreichs im Einsatz ist. „Wir begleiten die Mutter bzw. die Eltern nicht nur fotografisch mit lichtstarken Objektiven für besonders stimmige Aufnahmen, sondern helfen, gerade bei Geburten zwischen der 14. und 20. Schwangerschaftswoche, beim Ansehen ihres Sternenkindes. Wir nehmen den Eltern die Scheu und bewundern zusammen das kleine Menschlein. Sie fluten oftmals den Raum mit ihrer Liebe, die mich bei meinem ersten Auftrag mit einer unglaublichen Wucht getroffen hat.“ „Was mir besonders wichtig ist: Erzählen Sie Ihren Freundinnen und Bekannten bitte von uns Sternenkinder-Fotografen! Jede Mutter soll künftig professionelle Bilder von ihrem Sternenkind in ihren Händen halten dürfen. Diese Erinnerungen erleichtern auch die Trauerarbeit massiv.“
Warum Bilder so wichtig sind:
- als Zeugnis für die Existenz – oder auch den Tod – des kleinen Menschen
- als Zeugnis Eltern zu sein
- als Stütze für die verblassende, optische Erinnerung
- als Hilfe, um die Trauer mit anderen teilen zu können
- als vielleicht einzige Erinnerung für Familie und Freunde
- als Bestätigung, dass das Kind zur Familie gehört
- als Beweis für die Liebe zum Kind
- als Illustration der Geschichte des Kindes und der Geschichte der Familie
- als Verbindung von Erinnerungen und Gefühlen
Alle Infos & Broschüren finden Sie auf: www.Dein-Sternenkind.Eu
Sternenkinderkleidung: Verein Pusteblume, www.verein-pusteblume.at
Interview
Beate Reiß ist Lebens- und Sozialberaterin und Leiterin der Plattform „Wenn Lebensanfang und Lebensendende zusammenfallen.“ Sie verfügt über langjährige Erfahrung mit dem Thema Sternenkinder und mit trauernden Familien. Sie wünscht sich mehr Offenheit im Umgang mit diesen oft traumatischen Ereignissen und mehr Plätze für Erinnerungen.
Frau Reiß, ist Totgeburt immer noch ein Tabuthema?
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich schon einiges zum Positiven verändert. Aber immer noch macht dieses Thema viele Leute sehr befangen.
Warum ist das so?
Ich glaube, dass die Trauer anderer Menschen uns immer wieder verunsichert. Bei einem Kind macht das noch ein Stück sprachloser, weil der Anfang des Lebens und das Ende so nahe beisammen liegen. Es ist für manche Leute schwer nachvollziehbar, dass die Trauer so groß sein kann wo dieses Wesen doch noch so klein ist. Aber die Intensität der Trauer hat nichts zu tun mit der Lebensdauer. Umso wichtiger ist es, dass die Gesellschaft diese Trauer anerkennt. Es gibt oft ganz viel Hilflosigkeit und Unsicherheit bei Menschen, die dann manchmal ungewollt in verletzende Aussagen mündet.
Wie unterstützen Sie in solchen Situationen betroffene Eltern und Angehörige?
Einfach da sein, in Kontakt bleiben, auch wenn das Angebot nicht gleich angenommen wird. Zuhören anbieten, wenn es gewünscht wird. Für die Eltern kann es hilfreich sein, dass es ein Foto gibt; dadurch erhält das Kind einen Platz im weiteren Leben der Familie. Wichtig ist auch, dass Geschwister Bescheid wissen, auch wenn sie das Ereignis nicht direkt miterlebt haben.
Seit 2002 gibt es die Plattform „Wenn Lebensanfang und Lebensende zusammenfallen.“ Welche Hilfestellungen bieten Sie dort an?
Wir verfügen über einen Pool von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, die steiermarkweit für Eltern und Angehörige still geborener Kinder da sind wenn dies gewünscht wird, und fungieren als Informationsdrehscheibe für die betroffenen Familien. Wir bieten unterstützende Gespräche und sind Koordinations- und Anlaufstelle für Gedenkfeiern und Sammelbestattungen.
Kontakt:
www.hospiz-stmk.at/projekte/lebensanfang-lebensende
www.gutgebunden.at
Gedenkstätten und Möglichkeiten für Sammelbestattung:
Graz – Gedenkstätte am Urnenfriedhof
Judenburg – Gedenkstätte am Stadtfriedhof
Mürzzuschlag – Gedenkstätte am Stadtfriedhof
Gedenkstätten – als Platz der Erinnerung an Sternenkinder
Anger – Gedenkstätte bei der Annakapelle/Friedhofskirche Anger
Irdning – Gedenkstätte am Friedhof
St. Stefan o. St. – Gedenkstätte am Friedhof
Deutschlandsberg – Gedenkstätte am Friedhof
Wagna – Gedenkstätte am Urnenfriedhof
Halbenrain – Gedenkstätte am Friedhof
St. Ruprecht a.d.Raab – Gedenkstätte bei der Friedensgrotte
Schladming – Gedenkstätte am Friedhof
Weiz – Gedenkstätte am Friedhof/Weizberg
Kumitz/Bad Mitterndorf – Gedenkstätte am Friedhof