Am Ende hilft die Muttersprache
Kultursensible Begleitung. Was uns ausmacht – bis zuletzt. Ein Stück Geborgenheit in der neuen Heimat.
Durch Zuwanderung wird die Bevölkerung in Österreich nach Herkunft, Muttersprache, kultureller Prägung und Religionszugehörigkeit vielfältiger. Von den rund 300.000 Menschen, die in Graz leben, haben knapp 20 Prozent einen Migrationshintergrund. Dass sie bei uns eine neue Heimat gefunden haben, bedeutet auch, dass viele von ihnen irgendwann hier mit einer Krankheit konfrontiert und letztendlich auch da sterben werden.
Es gibt Unterschiede
Jede Kultur hat im Umgang mit Krankheit und Sterben ihre eigenen Riten und Bräuche. Aber was geschieht, wenn durch das ursprünglich Vertraute über Krankheit, Sterben und Tod anders gedacht und gesprochen wird? Wenn Schmerz, Trauer und Verzweiflung ihren Ausdruck anders finden? Hinzu kommt, dass in der letzten Phase des Lebens nicht nur die Kultur des Heimatlandes mehr Gewicht bekommt, sondern auch die Sprache des Herkunftslandes wieder stärker in den Vordergrund tritt. Ganz besonders in diesen sensiblen Phasen des Lebens braucht es Zuspruch und Unterstützung, die möglichst viele Aspekte des Seins miteinbezieht. Für alle, die Menschen in diesen Situationen begleiten, bedeutet das, jedes Individuum mit seiner eigenen Geschichte, seinen sozialen Bezügen und Lebenserfahrungen sowie seinem individuellen kulturellen und religiösen Hintergrund anzunehmen und damit eine „kultursensible Begleitung“ anzustreben. Ein Mangel an Verständnis für fremde Religionen und kulturelle Prägungen kann jedoch Barrieren aufbauen, Stress verursachen und Irritation hervorrufen. Dies gilt sowohl für die PatientInnen und deren Angehörige als auch für diejenigen, die ihnen zur Seite stehen.
Sprache ist Teil unserer Identität
Gerade in der letzten Lebensphase spielt die Muttersprache eine ganz besondere Rolle. Wieviel Zeit bleibt noch, was möchte man noch erleben – alles wird kostbar. Begegnungen, Gespräche, noch einmal gemeinsam lachen. Dieses Vertrauen entsteht so viel schneller, wenn man in der Muttersprache spricht. In dieser schwierigen Zeit einmal wieder in die Sprache seiner Kindheit fallen, in die Zeit der Geborgenheit. Das kann Trost sein. „Die allermeisten der Begleiteten sind mit einer Lebenskrise konfrontiert, die Endlichkeit bedeutet. Die Vergangenheit aber ist für viele eine Sicherheit, ein vertrautes Gefühl von geborgen sein. Wenn diese Vergangenheit dann eventuell aufgrund einer Migrationserfahrung woanders gelegen ist, dann ist es umso wichtiger, die Betroffenen und ihre Angehörigen auf dieser Basis begleiten zu können“, erklärt Yasemin Günay, Hospizbegleiterin in München. Nicht nur in der christlichen Kultur Mitteleuropas, auch in anderen Gemeinschaften, besonders in islamisch geprägten Ländern, ist es erste Aufgabe der nahen Angehörigen, sich um kranke und sterbende Familienmitglieder zu kümmern. Was aber, wenn es in der „neuen Heimat“ keine nahen Angehörigen gibt? Viele ältere Menschen der „ersten“ Generation von Migranten leben allein, haben – auch auf Grund ihrer Herkunft – wenig Kontakt zur Außenwelt. Gerade für sie wäre es wichtig, eine Verbindung zu Menschen zu haben, die ihre Muttersprache sprechen. Um sich austauschen zu können, ihre Wünsche zu äußern – ohne lange nachdenken zu müssen. Zu wissen, dass sie verstanden werden.
Sprache und Demenz
Viele Menschen leiden mit zunehmendem Alter an Demenz, Tendenz steigend. Häufig kommt es bei Demenzerkrankungen auch zu einer fortschreitenden Verschlechterung der Sprachfunktion (medizinisch: Aphasie). Das bedeutet, dass die Kranken immer weniger sprechen, oft auch keine verständlichen Sätze mehr sagen können bis hin zur völligen Stummheit. Dies erst recht, wenn sie sich in einer „fremden“ Sprache ausdrücken müssen. Können sie sich jedoch ihrer Muttersprache bedienen, ist vieles einfacher. In dem Pflegeheim, in dem meine Schwiegermutter 10 Jahre verbrachte, konnte ich dies beobachten. Geboren im zweisprachigen Gebiet in Kärnten war ihre Muttersprache slowenisch, wenngleich sie diese Sprache mit ihren Kindern nie gesprochen hat und auch mit anderen Familienmitgliedern, auch mit mir, habe ich sie nie anders als Deutsch sprechen hören. Außer mit ihren Schwestern. Nach einer schweren Operation verbunden mit mehrwöchigem künstlichem Tiefschlaf übersiedelte sie nach Graz ins Annaheim der Kreuzschwestern. Schon bald bemerkten wir alle, dass sie, die immer ein gutes Gespräch geschätzt hatte, immer weniger sprach und schließlich nahezu ganz verstummte. Anlässlich ihres 90. Geburtstages kam ihre jüngere Schwester, damals auch schon weit über 80, zu Besuch. Und plötzlich bekamen wir wieder ganze Sätze zu hören, die Schwestern unterhielten sich angeregt – auf Slowenisch! Dies wiederholte sich noch bei einem weiteren Treffen. Danach konnte ihre Schwester sie nicht mehr besuchen, und auch sie war nicht mehr mobil genug, um nochmals nach Kärnten zu gelangen. Bald darauf verlor sie ihre Sprache gänzlich. Auch dieses Beispiel zeigt, welche Bedeutung der Muttersprache speziell am Lebensende zukommt.
Gaby Valentinitsch
„Wissen ist zwar nützlich, aber Wissen allein hilft niemandem. Wenn Sie nicht alles einsetzen – Ihren Kopf, Ihr Herz und Ihre Seele -, werden Sie keinem einzigen Menschen helfen können.“ (Elisabeth Kübler-Ross, Psychiaterin und Sterbeforscherin)
Birgit Winkler ist ausgebildete Hospizbegleiterin und seit über zwei Jahren Koordinatorin für das Hospizteam Graz. In dieser Funktion arbeitet sie eng mit dem mobilen Palliativteam Graz und Graz-Umgebung zusammen, das PatientInnen zu Hause betreut und organisiert die Einsätze von ehrenamtlichen HospizbegleiterInnen in diesem Bereich. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist sie auch immer häufiger mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen konfrontiert und hat festgestellt, dass eine Begleitung in deren Muttersprache für alle Beteiligten sehr hilfreich wäre. Das hat sie dazu bewogen, in Zusammenarbeit mit dem mobilen Palliativteam das Projekt „Kultursensible Hospizbegleitung“ ins Leben zu rufen.
Was versteht man unter „Kultursensibler Begleitung“?
Darunter versteht man die Möglichkeit, dass Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend ihren kulturellen und religiösen Bedürfnissen und in ihrer Muttersprache begleitet werden.
Wie ist dieses zukunftsträchtige Projekt entstanden?
Bei unserer Arbeit haben wir beobachtet, dass bei schwerkranken Menschen mit Migrationshintergrund eine Verständigung in ihrer Muttersprache vieles erleichtern würde. In solchen Situationen vermittelt die eigene Sprache Geborgenheit und Intimität und das tut gut. Die Sozialarbeiterin des Palliativteams hat den Kontakt zur Fachhochschule Joanneum hergestellt. Studierende der Fachrichtung Soziale Arbeit haben mit uns dann die Eckpunkte gestaltet und auch einen Film gedreht. Wir haben daraus ein Projekt gemacht und bei der Stadt Graz eingereicht. Mit dem Ergebnis, dass es uns jetzt möglich ist, im Rahmen der Hospizausbildung ein eigenes Modul für „Kultursensible Begleitung“ anzubieten.
Wer kann diese Ausbildung machen?
Alle, die Menschen in ihrer letzten Lebensphase Aufmerksamkeit und Zeit schenken möchten. Besonders freuen würden wir uns, wenn darunter auch Menschen wären, die hier in Österreich eine neue Heimat gefunden haben und den Begleiteten in ihrer Muttersprache begegnen könnten.
Sie möchten mehr erfahren?
Dann kontaktieren Sie uns: Hospizverein Steiermark,
Birgit Winkler, T: 0676 52 05 650, E: b.winkler@hospiz-stmk.at