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Es ist ein Geschenk für andere da zu sein!

Die ganze Nacht bin ich gesessen und jetzt ist sie ohne mich gegangen

h221-es-ist-ein-geschenk-rita-jahnEinmal bin ich zu einer Patientin ins Zimmer gekommen, und habe dann auch die Bettnachbarin gefragt: „Wie geht es ihnen denn?“ Sie hat zu mir gesagt: „Jaaa – heute Nacht wird’s ernst.“ Ich sage: „Geh!“ Später bin ich noch mal in das Zimmer, weil die Nachbarin geläutet hat. Da war der Sohn dort. Ich habe gar nichts geredet. Als der Sohn weg war, habe ich sie noch einmal angesprochen. Und sie hat wieder gesagt: „Heut´ Nacht. Heut´ Nacht wird’s ernst.“ Zuerst habe ich es nicht so ernst genommen, doch dann bin ich eingestiegen. Ich habe einfach zu ihr gesagt, wie das denn ist: Wenn sie so stark empfindet, dass sie heute Nacht vielleicht sterben wird – sie hat zwei Kinder – was wir machen sollen, sollen wir die Kinder anrufen? Da hat sie gesagt: „Ruft´s mir ja nicht die Kinder an! Denn ich halt das nicht aus, dass es ihnen, wenn ich sterbe, so weh tut!“ Diese bedingungslose Mutterliebe! Sie hat in der letzten Phase noch ihre Kinder schützen wollen! Um dreiviertel 10 haben wir sie noch für die Nacht gerichtet, haben sie noch schön gemacht, und auf einmal, da stirbt sie doch wirklich! Und ich sagte noch zur Schwester, rufen wir an oder was machen wir…? Die Schwester meinte: „Rufen wir an, ich kenne ihre Kinder, sie wollen sicher dabei sein, wenn die Mutter stirbt.“ Wir haben dann auch angerufen, aber die Mutter hat nicht so lang gewartet. Sie ist vorher gegangen, bevor ihre Kinder da waren. Die Kinder waren natürlich entsetzt, sie wollten dabei sein. Ich hab dann noch ganz lange mit ihnen geredet und habe ihnen ganz genau erklärt, dass es der Wille der Mutter war, dass sie allein gehen kann. Angehörige wollen oft bis zuletzt begleiten, aber manchmal wollen Sterbende das gar nicht. Die wollen oft ganz gern alleine sein. Sie sterben auch oft, wenn die Angehörigen mal aufs Klo gegangen sind oder einen kleinen Spaziergang machen – da sind sie dann allein.

Bei meiner eigenen Mutter war es auch so. Wir sind sechs Kinder, und wir haben meiner Mutter versprochen, sie darf daheim sterben. Sie wollte nicht im Krankenhaus sterben. Wir haben uns alle verabschiedet gehabt, und meine Schwester, sie wohnte bei meiner Mutter, ist die ganze Nacht bei ihr gesessen. Die ganze Nacht. Sie wollte sich nur in der Früh einen Kaffee machen, ging aus dem Raum, und in dem Moment ist die Mutter gestorben. Damit hat meine Schwester schon gehadert, denn sie wollte bei der Mama dabei sein: „Die ganze Nacht bin ich gesessen, und jetzt ist sie ohne mich gegangen!“ Es war ihr Wunsch. Das muss man respektieren. Aber das tut manchmal weh.

„Wenn ich in Pension bin“
Letztens, als ich bei einem Patienten war, habe ich so nebenbei gesagt: „Ja, das mache ich dann, wenn ich in Pension bin.“ Wie man halt oft so sagt. Er hat gesagt: „Hören´s mir auf damit: Wenn ich in Pension bin…!Was Sie jetzt nicht machen, ist versäumt!“ Er hat immer gedacht: „Wenn ich in Pension bin, dann mache ich das.“ Alles hat er seiner Frau versprochen: „Wenn ich in Pension bin, dann machen wir das und das…!“, und dann war er in Pension. Er hat nicht einmal die Zeit gehabt, dass sie etwas hätten planen können, womit sie vielleicht anfangen, denn dann ist er krank geworden. Und er ist mittlerweile verstorben. Als ich nach der Begleitung aus dem Raum ging, hat er mir gesagt: „Und denken Sie an mich, wenn Sie mich aus der Zeitung herauslesen!“ Und ich habe ihn aus der Zeitung herausgelesen – ich bin nie mehr zu ihm gekommen, das hat sich nie mehr ergeben – und da hat sich mir alles noch mal aufgerollt: „Alles, was Sie jetzt aufschieben, …“

Rita Jahn, ehrenamtliche Mitarbeiterin, Hospizteam Fürstenfeld