Group 3

Trauerbegleitung als Lebenshilfe

Trauernde Menschen zu unterstützen erfordert viel Einfühlungsvermögen. Erst recht, wenn es sich bei den Hinterbliebenen um behinderte Menschen handelt. Christa Stelzl, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Hospizteams Deutschlandsberg, begleitet seit einiger Zeit in der Tagesförderstätte der Lebenshilfe Deutschlandsberg geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen. Als ein langjähriges Mitglied einer Gruppe plötzlich verstirbt, wird sie von deren BetreuerInnen gebeten, die Gruppe bei der Bewältigung des Verlustes zu unterstützen. Ein Bericht über besondere Herausforderungen, unerwartete Reaktionen und erstaunliche Erkenntnisse.

Erstes Kennenlernen
Zum vereinbarten Termin hatte sich die Gruppe um einen großen Tisch versammelt. Christa Stelzl spürte Trauer bei den Betreuern, Unsicherheit und Ratlosigkeit bei den anderen.

„Viele Gedanken sind mir zur gleichen Zeit durch den Kopf gegangen“, erzählt sie. „Wie erkläre ich Menschen, die in ihrer geistigen Wahrnehmung beeinträchtigt sind, was geschehen ist? Finde ich die passenden Worte, verstehe ich ihre Reaktionen? Können sie verstehen, dass einer aus dieser, ihrer besonderen Familie nie mehr kommt? Einen Moment lang verspürte ich Angst. Ich begann mit den Worten: ,Einer von euch fehlt heute. – Mark.‛ Zustimmendes Nicken von einigen Personen. ,Er war schon länger nicht mehr in der Gruppe – er war krank. Wisst ihr, ich war früher Krankenschwester, wir haben vielen Menschen geholfen, ihnen Medizin gegeben, sie gesund gemacht. Aber manche Menschen sind nicht mehr gesund geworden – sie sind gestorben.‛
Die Traurigkeit nahm fühlbar zu, die Gruppe wurde unruhiger, angespannter – ich auch. „Mark war sehr krank, es hat keine Medizin gegeben, die ihn gesund machen konnte.“ Und nach einer kurzen Pause habe ich es ausgesprochen: „Mark ist gestorben.“ Danach schien die große Anspannung nachzulassen, auch meine.
Jetzt wurde eine Kerze mit dem Namen des Verstorbenen auf den Tisch gestellt, angezündet und Teelichter rundherum angeordnet. Christa Stelzl lud alle Anwesenden zu einer kurzen Meditation ein. „Untermalt von leiser Musik sind wir in Gedanken zu Mark ins Krankenhaus an sein Bett gegangen und haben uns von ihm verabschiedet“, berichtet sie. „Wer mochte, hat ihn in Gedanken nochmals berührt, gute Wünsche ausgesprochen, an gemeinsam Erlebtes gedacht und an all die Dinge, wo viel gelacht wurde. Nach einem Abschiedsgruß haben wir in Gedanken das Zimmer wieder verlassen und sind in die Realität zurückgekehrt. Wer mochte, konnte nun an der Kerze die Teelichter entzünden und noch einmal die guten Wünsche für Mark aussprechen. Zum Abschluss entstand noch die Idee, eine Blume für den Verstorbenen zu pflanzen.“

Reflexionen zum Abschied
Als Christa Stelzl zum zweiten Treffen kam, wirkten die BetreuerInnen sehr in sich gekehrt. Eine Betreuerin erzählte, dass die gesamte Gruppe an der Begräbnisfeierlichkeit teilgenommen hatte. Dadurch hatte es natürlich mehr Unruhe und Bewegung in der Kirche gegeben, aber auch ungewohnte Laute waren zu hören gewesen. Die Gruppenleitung hatte dann einen Nachruf auf Mark gehalten, so wie sie ihn erlebt hatte. Mit seinem Lachen, seinen Späßen, seinen Fähigkeiten. Schließlich waren sie 15 Jahre seine BegleiterInnen gewesen.
Wie wichtig diese Worte waren und wie positiv sie auf einige BegräbnisteilnehmerInnen gewirkt hatten, zeigte eine Mutter, indem sie herzliche Dankesworte ins Elternbuch schrieb.

Die dritte Zusammenkunft mit der Gruppe begann zunächst ohne BetreuerInnen. Diese blieben jedoch im Nebenraum, um eventuell unterstützend eingreifen zu können. „Das war eine große Herausforderung!“, schildert Stelzl. „Für mich war es schwierig einzuschätzen, was verstanden wurde und ob ein Gespräch überhaupt noch wichtig war. Ich konnte keine konkreten Trauerbekundungen vonseiten der KlientInnen erkennen – aktuelle Tagesthemen waren wichtiger. Nach einiger Zeit wurden die Gespräche innerhalb der Gruppe und der Umgang untereinander sehr lebhaft, deswegen holte ich mir Unterstützung. Die Betreuer konnten die Gruppe wieder beruhigen und gemeinsam schlossen wir das Treffen ab.“

Berührende Einzelgespräche
„Auch diese gestalteten sich sehr unterschiedlich“, erinnert sich Stelzl. „Mit Martina z.B. war Kommunikation in einfachen Worten möglich, Martina zeigte sich beim Basteln einer Kerze auch sehr kooperativ und kreativ. Immer wieder kamen zwischendurch aber andere, persönliche Themen ins Gespräch und allmählich fragte ich mich, ob ich vielleicht nur eine willkommene Abwechslung im Alltag war. Als wir die Kerze entzündeten und ein Gebet für den Verstorbenen sprachen, war sie jedoch wieder ganz bei der Sache.
Der Zweite im Einzelgespräch war Hans. Aufgrund seiner hochgradigen Schwerhörigkeit und seiner für mich nur schwer verständlichen Sprache holte ich seine Betreuerin zu Hilfe. Professionell, mit Zeichen und Piktogrammen kommunizierte sie mit ihm. Es war zu erkennen, dass er den Inhalt des Gespräches verstand, eine Emotion konnten wir nicht zuordnen.
Der letzte Besuch galt zwei Frauen der Gruppe. Nachdem wir den Grund der Zusammenkunft kurz angesprochen hatten, standen wieder Tagesthemen im Mittelpunkt. Dieses Mal hatte ich Teelichthalter in Form von kleinen Laternen mitgebracht, die wir bemalten. Beide arbeiteten gewissenhaft mit, doch zum Schluss kam die Frage, wann wir nun die Kerze für Mark basteln würden. Ich war irgendwie enttäuscht, habe aber dann erkannt, dass nur ich kreativ sein wollte. Die Ablenkung war für die Frauen nicht von Bedeutung. Sie hätten lieber auch eine Kerze gebastelt, wollten mit den anderen gleichgestellt sein.

Die Begleitung dieser besonderen Menschen hat mich nachhaltig beeindruckt und beschäftigt. Als ich bei einem geplanten Besuch einer anderen Klientin noch einmal bei der Gruppe vorbeischaute, erzählten mir die BetreuerInnen, dass die Familienangehörigen von Mark mit einer Jause zu Besuch gekommen sind. Bei der gemeinsamen Mahlzeit haben alle über den Verstorbenen gesprochen und konnten somit einen harmonischen Abschluss finden.“

Christa Stelzl und Gaby Valentinitsch