Musik als Schlüssel zum Herzen
Musik öffnet Türen und oft auch die Herzen der Menschen. Auch in der Hospizbegleitung. Diese Erfahrung hat Angelika Döller gemacht. Als eine von mehr als 800 steirischen Ehrenamtlichen im Hospizdienst erzählt sie eine berührende Geschichte, die sie bei einer ihrer Hospizbegleitungen im Vinzi-Dorf-Hospiz erlebt hat. Sie begleitete den Straßenmusiker Michael in seiner letzten Lebenszeit. Durch die Musik konnte sie sein Herz erreichen.
„An einem sonnigen Nachmittag im Mai trete ich meinen allwöchentlichen ehrenamtlichen Dienst im Vinzi-Dorf-Hospiz der Elisabethinen an. 24–Stunden-Pfleger Cristian erklärt mir, dass unser neuer Schützling englisch angesprochen werden müsse, denn sonst würde Michael, der an Bauchspeicheldrüsenkrebs im letzten Stadium leidet, mich nicht verstehen können.
Michael, der walisische Straßenmusiker, mag zunächst keinen Besuch empfangen. Alles ist neu für ihn und überhaupt hat er sich bisher sehr wortkarg gezeigt. Und er muss sich erst in der neuen Situation zurechtfinden. So frage ich nur, ob ich mich später still an sein Bett setzen dürfe. Er nickt. Draußen werde ich noch über einige Details aus seiner Krankengeschichte informiert. Unter anderem auch darüber, dass sich eine Gitarre in seinem Zimmer befinde, denn: Musik sei sein Leben!
Ich setze mich also ans Krankenbett. Für gut 20 Minuten in Stille, aber in großer Präsenz. Michael hält die Augen geschlossen. Dann packe ich die Gitarre aus und improvisiere einige Akkordzerlegungen und Melodien, ganz zart, wie es der Stimmung am Krankenbett entspricht. Und ich füge noch ein einfaches Vortragsstück aus Jugendtagen hinzu. Als ich aufblicke, ist Michael ganz wach, und er, der vorher so verschlossen war, spendet mir Applaus. Und so kommen wir ins Gespräch!
Die Musik führte ihn vormals mit seiner Gitarre in viele Städte, auf Brücken, Straßen und Plätze in vielen Ländern. In all den Jahren sang und spielte er für sehr viele Menschen, lebte von der Hand in den Mund – und es reichte immer. Drei Videos auf youtube, auf die er sehr stolz ist, bezeugen das. Mit zwei Bündeln – seinem ganzen Hab und Gut-, mit der tödlichen Krankheit und ohne Krankenversicherung landete er über einigen Umwegen schließlich in Graz auf der Palliativstation der Elisabethinen und letztendlich im Vinzi-Dorf-Hospiz.
Er hat Angst vor dem Sterben und es wird ihm bewusst, dass er nie für irgendjemand Verantwortung übernommen hatte, dass er alleine ist. Das Gespräch wird sehr tief. Es ist nicht alles gut und es wird auch nicht alles gut, aber die Zeit und der Raum verlieren an Bedeutung. Nach ca. zwei Stunden (so sagt es die Uhr) verabschiede ich mich: „God bless you!“ – „No, God bless YOU!“, sagt er. – Noch weiß ich nicht, dass es die letzten Worte sind, welche ich gerade eben von ihm gehört habe. Drei Tage später verstirbt er. Wie ich hoffe, mit ein wenig Frieden im Herzen. So, wie unsere kurze Begegnung war: einfach, unkompliziert und von Herz zu Herz!“
(Angelika Döller, ehrenamtliche Hospizbegleiterin, Graz)