„Jeder ist sein eigener Tod“
Coralee Maier ist eine Frau der ersten Stunde im Hospizverein Steiermark. Sie war vor 30 Jahren unter den Pionierinnen, die in Aussee schon ganz früh ein Team gegründet haben. Welche Hürden es damals zu überwinden gibt, welche Momente sie besonders geprägt haben und was sie sich für die Zukunft wünscht, hat die 74-jährige im Gespräch mit „DaSein“ erzählt.
Sie begleiten seit unglaublichen 30 Jahren Menschen am Ende des Lebens. Was ist das Ausschlaggebende dafür, sich drei Jahrzehnte lang ehrenamtlich in den Dienst des Hospizvereins Steiermark zu stellen?
Da antworte ich jetzt zwar mit einer Floskel, aber sie trifft die Sache einfach im Kern: Begleitungen bereichern mein Leben – ich bekomme dadurch einfach unvorstellbar viel zurück! Wenn man jemandem seine Hand reichen kann, in dieser ganz speziellen letzten Lebensphase, dann ist das ganz einfach bereichernd. Wenn jemand in seinen letzten Tagen und Stunden alleine ist und man darf dann für diesen Menschen da sein, ist das etwas Einmaliges. Man gibt und bekommt.
Was waren Ihre ersten Kontakte mit dem Thema Hospiz und wie sind Sie zum Hospizverein Steiermark gekommen?
Daran ist im positiven Sinn des Wortes Christl Bahar schuld. Sie ist ja eine Pionierin der Hospizbegleitung in Österreich und eine gebürtige Ausseerin. Sie hat in Bad Aussee ganz am Beginn der Bewegung bereits ein Team gegründet und dafür Leute gesucht. Die Christl kannte viele, die sozial tätig waren, die hat sie einfach angesprochen. Ich war in der Krankenpflege tätig - das hat sich natürlich gut angeboten. Wir waren dann in kürzester Zeit 15 Personen.
Wie wurden die Ehrenamtlichen damals ausgebildet und geschult?
Professionelle, organisierte Ausbildungen, wie es sie heute gibt, hatten wir damals natürlich noch nicht. Wir kamen alle aus Berufen, wo man gewisse Grundkenntnisse und vor allem ein gewisses Verständnis für diesen speziellen Bereich hatte. Und natürlich hatten wir alle viel Begeisterung für die Hospizidee und waren überzeugt davon, dass es diese Begleitungen braucht. Wir haben viel miteinander geredet, uns intensiv ausgetauscht – so hat sich vieles für die Praxis ergeben.
Das Projekt ist ja dann sehr rasch angelaufen, es hat bald professionelle Kurse und damit auch Zertifikate gegeben – und damit hatten wir quasi auch eine ganz offizielle Berechtigung für unsere ehrenamtliche Arbeit.
Wie wurde dieses neue Angebot von der Bevölkerung angenommen?
Anfangs hat es da sehr viel Misstrauen gegeben – und zwar von verschiedensten Seiten. In den Familien herrschte noch weitgehend der Zugang vor, dass man „das“ familienintern regelt. Dass es die Pflicht der Angehörigen, eigentlich weitgehend der Frauen, ist, sich um schwer kranke und am Lebensende stehende Familienmitglieder zu kümmern. Was natürlich eine enorme Anforderung und mit viel Anstrengung, Überforderung aber auch Angst und Sorge besetzt war.
Wir mussten mit viel Überzeugungsarbeit klar machen: wir können helfen und unterstützen. Wir machen nichts, was nicht gewünscht ist. Wir hören zu, wir reden, wir sind da. Sehr langsam zwar, aber doch hat sich Vertrauen eingestellt, und wir sind mehr und mehr angenommen worden. Heute sind wir willkommen!
Wo habt Ihr noch Skepsis gespürt?
Natürlich auch im Pflegebereich. Da war die Befürchtung groß, dass wir etwas wegnehmen – vor allem weil unsere Leistung ja kostenlos ist. In den Pflegeheimen wurden wir anfangs zum Teil als „Spione“ gesehen – heute tragen viele Pflegeeinrichtungen im Land das Hospiz-Gütesiegel und haben die Hospizidee in ihre Arbeit involviert. Auch Ärzte waren vor 30 Jahren noch sehr skeptisch. Mittlerweile herrscht auch hier ein wertschätzendes Miteinander. Ja, wir werden immer wieder von Pflegeeinrichtungen und Ärzten kontaktiert, mit der Bitte, sich Menschen am Ende des Lebens anzunehmen, in der Nacht beispielsweise einen Wachdienst zu machen.
Wenn Sie an die vergangenen drei Begleitjahrzehnte zurückdenken. Was war da ein besonders prägender Moment?
Es ist jede Begleitung für sich etwas Einzigartiges. Aber es gibt da schon die eine oder andere Geschichte, die mich zweifelsohne geprägt hat. Etwa jene, als ich selbst als Patientin in einem Krankenhaus in Graz und gemeinsam mit zwei weiteren Frauen in einem Zimmer war. Keine von uns war in einer lebensbedrohlichen Situation. Als ich nach einem kurzen Aufenthalt zuhause wieder in dieses Zimmer zurückkam, hatte sich der Gesundheitszustand einer Dame derart verschlechtert, dass sie plötzlich im Sterben lag. Mir wurde angeboten, in ein anderes Zimmer zu wechseln. Ich habe dann erzählt, dass ich Hospizbegleiterin bin und gerne bleiben würde. Obwohl ich selbst in Behandlung war, bin ich eine ganze Woche lang an der Seite dieser Frau gewesen. Das hat zu einer sehr sehr innigen Beziehung zwischen uns beiden geführt. Sogar Ärzte haben mich damals gefragt, wie sie, abseits des Medizinischen, mit dieser Frau umgehen sollen. Das war eine unvergessliche Erfahrung – Patientin und gleichzeitig Begleiterin zu sein. Selbst in Behandlung und gleichzeitig da sein für die Zimmerkollegin, die am Lebensende steht. Diese Erfahrung habe ich ganz tief in mir.
Wie sind Menschen am Ende ihres Lebens? Was beschäftigt sie? Gibt es da ein erkennbares Muster?
Nein! Jeder ist sein eigener Tod. Auch wenn man da immer wieder von Mustern hört, aber das Ende ist wirklich immer ganz individuell. Da war die Dame im Heim, die nicht liegen wollte, sie hat sich immer aufgerichtet. Ich habe sie von hinten umarmt, gestützt und geschaukelt - sie ist in meinen Armen gestorben.
Da war dieser Herr, der gekämpft hat. Er hat auf etwas gewartet. Und als das Enkerl dann da war, konnte er loslassen – das kommt allerdings wirklich öfter vor. Viele Menschen kämpfen jedoch bis zum Schluss, das ist dann auch für mich sehr schwer. Manche reden viel über das bevorstehende Sterben und den Tod. Manche weniger. Andere gar nicht. Darum kann man auch nicht sagen, was Menschen am Ende ihres Lebens brauchen. Ich höre zu, ich schaue hin, ich spüre hinein – so lässt sich dann manches erfahren und erkennen, was im Einzelfall gebraucht wird.
Gibt es im Umgang mit der letzten Lebensphase Unterschiede hinsichtlich Alter oder Geschlecht?
Auch nicht! Was allerdings schon auffällt: Bei alten Menschen sind die Kriegserlebnisse ein ganz großes Thema – wenn in der Demenz diese Zeiten wieder zurückkommen und ganz präsent werden, dann haben diese Menschen sehr zu leiden. Aber das wird ja jetzt naturgemäß immer weniger.
Fällt das Ende leichter, wenn man sich bereits zeitlebens immer wieder mit dem Thema Sterben und Tod beschäftigt?
Für manche ist es offensichtlich leichter. Dann gibt es aber auch Menschen, wo man weiß, dass sie sich durchaus diesem Thema gewidmet haben und trotzdem ist dann, wenn es so weit ist, die große Angst da.
Was aber schon auffällt ist, dass Leute, die mit sich selbst ins Reine gekommen sind, weniger angstvoll sterben – sie gleiten dann einfach wunderschön dahin. Das würde man sich wünschen. Aber auch ich selbst kann nicht sagen, wie ich reagieren werde, wenn mein Lebensende da ist.
In der Betreuung von Menschen am Lebensende hat sich in den vergangenen 30 Jahren generell viel verändert. Warum braucht es dennoch den Hospizverein und seine Ehrenamtlichen?
Weil sich diese grundlegenden menschlichen Bedürfnisse, speziell am Ende des Lebens, nicht geändert haben. Das ist einmal das Wesentlichste. Dann kommen aber etwa auch gesellschaftliche Veränderungen dazu. Familien sind vielfach nicht in der Lage, diese intensive Betreuung zu übernehmen, weil es die Großfamilien nicht mehr gibt, weil Frauen berufstätig sind, weil Wohnungen oft schlichtweg zu klein sind. Weil wir Ehrenamtliche professionell ausgebildet sind, Wissen und Erfahrung mitbringen, die man in anderen Bereichen einfach so nicht hat. Daher wird Hospizbegleitung immer notwendig sein.
Was wünschen Sie dem Hospizverein Steiermark für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir alle im Verein auch in Zukunft immer so gut und eng zusammenarbeiten wie wir in Aussee. Wir behüten einander. Wir sind füreinander da. Das muss nicht immer eine tiefe Freundschaft sein. Aber jeder von uns weiß, dass der andere für ihn da ist. Ich wünsche uns allen dieses Gefühl. Dann kann man nämlich wirklich gut arbeiten.
Coralee Maier (r.) ist eine Ehrenamtliche der ersten Stunde und seit 30 Jahren Hospizbegleiterin mit Leib und Seele.
Auch Klaus Maria Brandauer sagte Danke.
Coralee (r.) holt sich viel Kraft in ihrem Team.