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„Zu wissen, ich bin nicht allein, gibt mir unendlich viel Kraft“

Es ist einer dieser Tage, an denen der Winter mit dem herannahenden Frühling um die Vormachtstellung rittert. Der Regen hat schon etwas Warmes, etwas Leben Spendendes. Am Bächlein ist das Eis gebrochen. Erfrischend, wie das Wasser sich sanft plätschernd seinen Weg zwischen Ästen, Steinen und Laub sucht. Und doch drückt man die Hände noch tief in die Manteltasche, wo sie nach Wärme suchen und sich vor dem rauen Wind schützen. Ein Haus, ein großer Garten, alte Bäume – Grazer Vorstadtidylle. Auf den ersten Blick. Aber schon der zweite zeigt etwas In-die-Jahre-Gekommenes, einen unübersehbaren Schleier des Stillstands.

Katrin öffnet die Tür. Im Haus ist es warm. Die Frau ist freundlich, spricht wenig und beginnt schnell ihrem Ältesten das Essen ins Mündchen zu löffeln. Er ist eineinhalb. Der Kleine, gerade einmal vier Monate, strampelt derweil vergnügt in der Wippe, bevor er beginnt, sich lauthals Aufmerksamkeit zu verschaffen – er schreit aus voller Kehle. Katrin nimmt ihn auf den Arm, wiegt ihn sanft in die Beruhigung. Sie umsorgt ihre Kinder liebevoll und mit bemerkenswerter Ruhe; bringt den älteren ins Bett.

Behutsam beginnt sich das Gespräch um jenes Thema zu kreisen, das Katrins Leben von einer Minute auf die andere auf den Kopf gestellt hat. „Heute geht es ihm ganz besonders schlecht. Er schläft schon den ganzen Tag. Hat Schmerzen. Es ist ein stetes Auf und Ab“, erzählt sie mit Blick auf die Zimmertür gegenüber. Dort schläft ihr Mann. Vor einem Jahr wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. „Es war ein plötzlicher Krampfanfall. So heftig, dass er ins Krankenhaus musste. Dort wurde die Diagnose Lungenkrebs gestellt“, schildert Katrin, während sie den Kleinen liebevoll im Arm wiegt. Ein unglaublicher Schlag des Schicksals – für ihren Ehemann, die Kinder und ganz besonders auch für sie selbst. „Mein Mann hat die Chemotherapie nicht vertragen. Es ging ihm so schlecht damit, dass sie abgebrochen werden musste. Es geht ihm insgesamt sehr sehr schlecht mit der Situation,“ erzählt Katrin. Der 57-Jährige wird mittlerweile zuhause betreut, regelmäßig kommt das Mobile Palliativteam vorbei. Und zwei Mal in der Woche begleiten zwei Ehrenamtliche des Hospizvereins die Familie. „Diese Besuche von Karin und Ewald sind für uns ganz ganz wertvoll – vor allem psychisch. Sie helfen, mit dieser großen Belastung besser fertig zu werden. Wenn ich jemanden zum Reden habe, ist mir einfach viel leichter. Ich kann ja aufgrund der Krankheit meines Mannes kaum das Haus verlassen, komme mit den Kindern wenig raus. Da bin ich dankbar für jeden Besuch und jedes Gespräch,“ gibt Katrin Einblick in ihr momentan sehr schweres Leben. Ihr Mann, grundsätzlich kein großer Redner, spricht an manchen Tagen gerne, an manchen überhaupt nicht mit dem Hospizbegleiter: „Dann ist Ewald einfach da – für mich und die Kinder. Der Große genießt es besonders, wenn Ewald zu Besuch kommt.“

Die Tür gegenüber öffnet sich, ein Mann geht schweren Schrittes über den Gang, spricht einige Worte und verschwindet hinter der Toilettentür. „Heute ist es ganz schlimm“, sagt Katrin mit leiser Stimme. Einer Stimme, in der sich Mitleid, Verzweiflung und ganz große Stärke zu einer bewegenden Klangfarbe vereinen. Er habe Schmerzen am ganzen Körper, habe ihr Mann gerade gesagt. Die hätte er momentan sehr oft – Knochenschmerzen und starke Magenschmerzen. Deshalb schlucke er Unmengen an Medikamenten. Früher, da sei er stark gewesen, ihr Mann. Jetzt könne er sich kaum mehr aufrecht halten; trägt ein Stützkorsett. Oft sei ihm übel, er könne manchmal nur schwer und manchmal gar nicht essen. Die Frau dreht ihr jugendliches Gesicht zum Fenster, schweigt eine Weile und meint dann leise: „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich sehe im Moment keine Zukunft. Mir tun die Kinder so leid – sie haben jetzt keinen Papa.“ Man möchte umarmen, einfach nur da sein. So wie die beiden Ehrenamtlichen, die Katrin unglaublich viel Halt geben, wie sie sagt: „Jemanden zum Reden zu haben, zu wissen, man ist nicht allein – es kommt morgen jemand und übermorgen wieder, das gibt mir unendlich viel Kraft. Denn wenn mein Mann wieder eines seiner besonderen Tiefs hat, so wie heute, ist das auch für mich enorm schwer. Diese Last mit jemandem zu teilen, der einfach zuhört, da ist – mir und den Kindern das Gefühl gibt, nicht völlig verlassen zu sein – wir haben ja keine Verwandten, die uns unterstützen könnten – ist ein unschätzbares Geschenk.“ Die Worte versiegen. Das Holz im Ofen knistert, gibt eine Wärme, die das Gefühl des Wohligen längst überschritten hat. Am Fenster steht still eine Frau in einem Wechselbad der Gefühle, mit der ganzen Kraft einer Mutter, die für ihre Kinder da ist. Eine Frau, die ihren Mann durch eine schwere Krankheit trägt. Und in diese Situation hinein, die so voller Schatten und Schmerz ist, sagt Katrin: „Ich hoffe, dass es bald wieder ein bisschen bergauf geht.“

 

 

 

Katrins Mann, der Papa ihrer beiden Kinder, ist im Juli im Albert Schweitzer Hospiz verstorben.

 

 

(Johanna Vucak, Hospizverein Steiermark)