Es ist schön, für Schwerstkranke da sein zu können
„Atemlos durch die Nacht, bis ein neuer Tag erwacht“, trällert es am Parkplatz entgegen. Die Männer am Bau geben sich den letzten lautstarken Motivationsschub für den Arbeitstag. Am Eingang dichtes Kommen und Gehen, aus der Cafeteria hallen laute Stimmen – Lachen, reges Treiben. Am Weg hinauf in den 2. Stock wird es zunehmend stiller. Eine Glastür eröffnet den ersten Blick in den neuen Bereich des LKH-Deutschlandsberg – hell, grün, lebendig zeigt sich die Palliativstation! Einladend und freundlich. So freundlich wie der Empfang durch Primaria Gabriele Treichler und Dr. Martin Pulko. Sie geben Einblick in die neue Errungenschaft des Hauses – die Palliativstation. Gleich oberhalb der Gebärstation angelegt, symbolisiert sie den Kreislauf des Lebens – vom Anfang bis zum Ende. Die acht Patientenzimmer sind große helle Räume. Die Balkone sind geräumig und ermöglichen es, dass dort Patient:innen in ihren Betten hinausgebraucht und so die frische Luft und die herrliche Natur genießen können.
Primaria Treichler und Dr. Pulko zeigten voll Stolz die neue Palliativstation.
Auch vor den Fenstern viel Grün – Weingärten in der Blüte, Wiesen, auf denen gemächlich Schafe weiden. Viel Platz für Patient:innen und Angehörige und beste Bedingungen für Ärzteschaft und Pflegepersonal. Selbst im Badezimmer der Eindruck, als würde man draußen im Freien das Wasser von einer Steinwand rieseln hören. Moderne Betten lassen das viele Liegen leichter ertragen und dem Personal die Arbeit einfacher von der Hand gehen. Der Gang ist breit und hell. Immer wieder Bilder. Gemütliche Bänke – und immer und überall die Leitfarbe Grün. Auch in der Küche, die gleichzeitig ein Rückzugsraum für Patient:innen und ihre Angehörigen ist. Heimelige Atmosphäre abseits des Krankenzimmers mit Traumkulisse – auf der einen Seite erhebt sich die Burg Deutschlandsberg, auf der anderen schmiegen sich die Weinstöcke in die sanften Hügel. Hier werden den schwerkranken Patient:innen auch immer wieder spezielle kulinarische Wünsche erfüllt. Essen, das Angehörige mitbringen und gemeinsam mit ihnen genießen. „Da wurden dann auch schon Weißwürste gekocht“, erzählt Primaria Treichler mit einem Lächeln auf den Lippen. Denn soweit es irgendwie möglich ist, werden den Palliativ-Patient:innen hier ihre letzten kleinen Wünsche erfüllt. Auch so manches Haustier hat daher schon den Weg auf die Station genommen. „Natürlich über die Notfallstreppe im Außenbereich“, schmunzelt Dr. Pulko über den mitunter schmalen, aber zutiefst menschlichen Grat zwischen dem, was man als Spital darf, und dem, was schwerkranken Menschen wichtig ist und guttut.
Eine Spezialbadewanne für Wohlgefühl am Ende des Lebens
Möglich gemacht wird hier tatsächlich viel. Ein bisschen Luxus am Ende des Lebens. Die High-Tech-Badewanne ist geradezu ein Paradebeispiel dafür – sie spielt alle Stückerln, ist von allen Seiten frei zugänglich, lässt sich heben und kippen. Genussvolle Momente in der letzten Lebensphase. Hier werden sie möglich gemacht. „Hier geht es allen voran auch darum, sich einmal auf ein Bett zu setzen, mit den Patient:innen zu reden. Hier wird das Wort zum wichtigsten Tool“, gibt Pulko, Assistenzart für Innere Medizin, Einblick. Und das mit einer Leidenschaft, die keine Sekunde zweifeln lässt, wenn er ergänzt: „Das ist die Medizin, die ich machen will. Den Menschen rundum betreuen, intensiven Kontakt zum Patienten oder zur Patientin haben – Zeit haben. Das ist ein schönes Gefühl.“ Im Handumdrehen ist der engagierte Arzt aber schon wieder sachlich und klärt auf: „Wir sind hier aber keine Sterbestation, wie das oft fälschlich angenommen wird. Unser Ziel ist es, die Leute so weit zu stabilisieren, dass sie gut vorbereitet wieder nach Hause gehen können.“
Das Team rund um Primaria Treichler und Dr. Pulko ist aber auch eine Anlaufstelle für Angehörige. Das Familiengespräch mit Patient:innen, Angehörigen und Ärzt:innen steht am Anfang eines jeden Aufenthaltes. Jeden Morgen wird in einer Teamsitzung jeder einzelne Patient besprochen. Dann wird interdisziplinär die Betreuung übernommen. Da gehören viele dazu – Pfleger:innen, Physiotherapeut:innen, Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen, das Mobile Palliativ-Team, Hospizbegleiter:innen, Seelsorger und Ärzt:innen natürlich. Für Pulko die ideale Art zu arbeiten. „Und ich merke dann auch, dass da etwas weitergeht, dass sich etwas entwickelt – bei den Patient:innen, den Angehörigen. Aber auch bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen; bei allen Beteiligten. Da bewirkt diese Station wirklich sehr viel“, freut sich Primaria Treichler über die neue Einrichtung und das funktionierende Zusammenspiel.
Wir reden über den Tod und lachen über das Leben
Die Glastür öffnet sich, ein Mann schiebt eine Frau im Rollstuhl den Gang entlang. Dr. Pulko geht in die Knie, fragt die Dame auf Augenhöhe: „Wie war der Ausflug? Wie fühlen sie sich?“ Sie greift nach seiner Hand. Der Mann strahlt, freut sich sichtlich über die Anteilnahme und das Interesse. Er hat seine schwerkranke Frau gerade zum Geburtstag ausgeführt. Ihr Wunsch war es nämlich, auf die Burg Deutschlandsberg zu fahren, dort zu essen und ein Gläschen Sekt zu trinken. Die beiden lächeln und verschwinden hinter der Zimmertür. Die gemeinsamen Tage sind gezählt. Situationen, die auch die Ärzt:innen nie unberührt lassen. „Ich hatte zunächst Sorge, dass ich mich hier vielleicht zu sehr involviere. Aber es ist nicht so. Es ist einfach etwas sehr Feines, Menschen in dieser Lebensphase zu betreuen. Noch etwas Schönes für sie zu tun“, durchbricht Pulko das betretene Schweigen. Und ergänzt: „Und oft auch etwas anzusprechen, das bis dato ein Tabu war: Das Lebensende, den Tod. Ich frage da oft: Wie geht es ihnen damit, auf der Palliativstation zu sein? Manche sehen das ganz klar, manche sind noch nicht beim Thema angekommen. Wir helfen dann darüber zu reden. Hier haben wir ja den idealen Raum und die ideale Atmosphäre dafür.“ Der Tod wird zum Thema. Pulko fragt auch: „Wollen sie alles wissen? Oder nicht?“ Der empathische junge Arzt stellt das frei und erzählt: „Die meisten sagen Ja! Die meisten können das gut annehmen oder habe es schon angenommen. Das größere Thema sind vielmehr die Angehörigen. Viele Patient:innen sorgen sich, dass sie nun für ihre Angehörigen zu einer Last werden – das ist tatsächlich ein großes Thema.“ Aber auch das zu bereden hat Platz. Bei den Ärzt:innen, beim Personal oder bei einer der zehn Hospizbegleiter:innen. Sie sind stille Stützen im Hintergrund. Sie sind einfach da – zum Reden, zum Zuhören, zum Hand halten.
Hospizteam ist eine große und wichtige Unterstützung
„Wir haben eine riesige Freude, dass wir die Ehrenamtlichen des Hospizvereins hier auf der Station haben. Das sind ganz großartige Ansprechpartner:innen für Patient:innen, für Angehörige aber auch für uns,“ freut sich Primaria Treichler über die zehn Hospizbegleiter:innen, die mit einem eigenen Büro auf der Station untergebracht sind.
In einem Zimmer wird laut gelacht. „Ja“, schmunzelt Pulko, auch das hat bei uns Platz. Der Humor ist sogar sehr wichtig. Und man möchte nicht glauben, wie viel Humor Menschen trotz schwerer Krankheit aufbringen. Dann erzählt er von einer Dame, an deren Bett er manchmal sitzt und die Episoden aus ihrem Leben erzählt. Dabei lacht sie immer wieder auf und stößt ihm währenddessen völlig unbewusst mit ihrem Ellenbogen und der schwachen Kraft einer Schwerkranken in die Rippen.
Für das Hospizteam ganz wichtig: der regelmäßige Austausch
In diesen so heiteren Moment hinein wirft die Sonne noch einmal mit voller Kraft ihre Strahlen und taucht die Station in warmes wohliges Frühsommerlicht. Während in den Patientenzimmern die Nacht vorbereitet wird, treffen sich im Erdgeschoss die Hospizbegleiter:innen zur Teamsitzung. Für manche ist es hier in Deutschlandsberg die erste Begleitung auf einer Palliativstation. Andere haben schon Erfahrung. Es werden Richtlinien besprochen, es werden erste Erfahrungen ausgetauscht – es wird viel erzählt. Bettina berichtet von der zufälligen Begegnung mit der Tochter einer Patientin: „Es hat sich ein eineinhalb Stunden langes Gespräch daraus ergeben. Am Schluss hat die Dame gemeint: ‚Es ist schön zu wissen, dass man nicht alleine ist.‘ “ Maria erzählt von einer Frau, die meinte „Der Heilige Abend hier ist der schönste meines Lebens gewesen.“ Barbara begleitete eine Dame, die ihr vertrauensvoll eröffnete: „Ich bin bereit für den letzten Weg, aber mein Mann lässt mich nicht gehen. Zwei Tage später ist sie verstorben.“ Antonia musste erfahren und respektieren, dass nicht jeder und jede eine Begleitung haben möchte. Die Familie des schwerkranken Mannes meinte, sie würden diesbezüglich niemanden benötigen. Eine schwerkranke Dame hat hingegen wesentliche Teile ihres Lebens erzählt, sich wie ein Buch geöffnet und sehnsüchtig auf jede Begleitstunde gewartet. Es sei vor allem diese Beziehung ohne Vorgeschichte, ohne Erwartung, die die Hospizbegleitungen bei vielen so beliebt machen, berichten gleich mehrere Ehrenamtliche. Und manchmal brauche es eine kleine Brücke, bis Patient:innen es wagen würden, eine Begleitung anzunehmen. Marias Rezept: „Wenn jemand sagt: das brauche ich nicht, was zu akzeptieren und respektieren ist, frage ich dennoch, ob ich zumindest noch einen Witz dalassen darf. Und oft ist das dann der Eisbrecher.“ Gerade Männer würden sich anfangs oft schwertun, eine Begleitung anzunehmen. „Der Herr sagte mir gleich: Ich brauche niemanden. Darauf ich: Dann gehe ich wieder. Ich verabschiede mich, gehe zur Tür. Der Herr ruft: Wenn sie schon da sind, dann bleiben sie halt. Das war der Beginn vieler langen und guten Gespräche.“
Ich lasse zumindest einen Witz zurück
Christine erzählt von einem Mann, der ihr Dasein sehr schnell und sehr gerne angenommen hat: „Er wolle Weihnachtslieder hören. Ich habe ihm vorgesungen. Dabei ist er ganz ruhig und friedlich geworden.“ Man müsse ganz schnell am Punkt sein, meinen die Ehrenamtlichen – das sei auf einer Palliativstation besonders wesentlich. Und wohl der größte Unterschied zu langjährigen Begleitungen in Pflegeeinrichtungen oder im privaten Bereich. Es geht um den Moment, die jeweilige Stunde. Beim nächsten Mal ist der Patient oder die Patientin vielleicht schon verstorben – oder aber auch nach Hause entlassen. Das Fingerspitzengefühl sei hier noch mehr gefordert. „Ich schalte den Alltag weg, gehe auf die Station rauf und lese mich zunächst einmal in den Patienten ein. Dann gehe ich ins Zimmer. Schaue. Spüre. Ich habe sofort gemerkt, dass der Mann sehr bedrückt ist. Er weinte, unterdrückte es, weinte wieder…“
Vieles wird noch besprochen an diesem Abend. Das Thema Dokumentation etwa oder auch das der Religion. Der Hospizverein arbeitet überkonfessionell; es werden keine speziellen Religionsgruppen besprochen und die Religion ist auch nicht Thema in der Begleitung. Das muss explizit Wunsch der Patient:innen oder der Angehörigen sein. Die Palliativstation in Deutschlandsberg arbeitet dahingehend ohnehin auch mit Seelsorgern zusammen. Als Information für neue und als Auffrischung für langjährige Hospizbegleiter:innen wird an diesem Abend wieder einmal der Unterschied zwischen Palliativ- und Hospizstation erläutert. Begleitet von einem Überblick über den Status quo der stationären Hospizversorgung in der Steiermark.
Zum Abschluss immer wieder wichtige Verhaltensregeln: sich im Hintergrund halten, das Zimmer verlassen, wenn Besuch kommt, wenn Visiten stattfinden, wenn Ärzt:innen und Pflegepersonal ihre Arbeit machen. Rücksichtsvoll, respektvoll, achtsam sein. Zuhören, da sein. Das Du vor das Ich stellen. Das macht Hospizbegleiter:innen zu wichtigen Schrauben im System.
Auf der Baustelle ist es mittlerweile mucksmäuschenstill. Der Mond wirft sein magisches Licht in die laue Frühsommernacht.
Hospizverein-Geschäftsführerin Sabine Janouschek (r.) besuchte
das Hospizteam auf der neuen Palliativstation in Deutschlandsberg.