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„Kinder sind neugierig auf den Tod“

Karin Malle-Suppan ist seit 2014 Referentin beim Hospizverein Steiermark. Im Februar dieses Jahres hat sie die Leitung von „Hospiz macht Schule“ übernommen. Die 55-jährige Psychologische Beraterin erzählt, welche Pläne sie mit diesem Fachbereich verfolgt, warum sie von der Hospizarbeit mit Kindern und Jugendlichen beseelt ist und warum sie jedem und jeder eine Hospizausbildung empfiehlt.

Wie bist du überhaupt zum Hospizverein Steiermark gekommen?
Das hat eine lange Vorgeschichte, die mit dem Lebensende meiner Mutter beginnt. Sie wurde von einer Hospizbegleiterin unterstützt – das war enorm hilfreich. Nicht nur für meine Mutter, sondern ganz besonders auch für mich selbst. Ich habe dann nach dem Tod meiner Mutter beschlossen, die Hospizausbildung zu machen; da habe ich noch in Kärnten gelebt. Kurz darauf wurde bei meinem Sohn ein Gehirntumor diagnostiziert. Da bin ich dann so richtig in dieses Thema eingestiegen – habe es immer weiter vertieft. In meiner schweren Situation habe ich glücklicherweise sehr viel Hilfe und Unterstützung bekommen; ohne die wäre es nicht schaffbar gewesen. Deshalb war für mich klar, etwas zurückzugeben. Ich habe mich daher bei der „Plattform Verwaiste Eltern“ engagiert und verwaiste Geschwister begleitet. So bin ich Schritt für Schritt in das Thema hineingewachsen.
Als wir dann nach Graz übersiedelt sind, habe ich einfach einmal gegoogelt, welche Möglichkeiten es hier gibt – so bin ich auf den Hospizverein Steiermark gestoßen. Ich habe dann einfach angerufen und gesagt: Ich möchte etwas tun. Aufgrund meiner Beschäftigung in der Erwachsenenbildung wurde mir angeboten, als Referentin zu arbeiten. So hat alles begonnen.

Was motiviert dich nach so langer Zeit immer noch, sich für die Hospizidee zu engagieren?
Ich mache das mit einer so unglaublichen Freude, Hingabe und Überzeugung, dass es für andere vielleicht schon naiv wirken mag. Aber meine Seele jodelt förmlich, wenn ich wieder zu einem Workshop oder einer Supervision fahre. Ich mache etwas, das mir absolute Freude bereitet – was kann da motivierender sein?!

Wie bist du schließlich zum Fachbereich „Hospiz macht Schule“ gekommen?
Monika Benigni, die Gründerin von „Hospiz macht Schule“, hat mich eines Tages angerufen, weil sie auf der Suche nach einer Referentin war. Wir haben uns sofort bestens verstanden. Ich habe dann die Ausbildung für das Ehrenamt „Hospiz macht Schule“ gemacht. Unter der Projektleitung von Monika Dunkl war ich dann für die Aus-, Fort- und Weiterbildung zuständig. Als Monika die Leitung zurückgelegt hat, wurde sie mir angeboten. Und ich habe mit Begeisterung Ja gesagt.

Wie geht es dir in dieser Funktion?
Mich haben schon einige gefragt, warum ich mir das ehrenamtlich antue. Aber es ist für mich absolut keine Frage des Geldes. Ich mache das aus großer Überzeugung. Mit Tamara Schalk habe ich zudem eine ausgezeichnete Stellvertreterin und wir konnten in den vergangenen Monaten auch schon einige tolle Erfolge erzielen – wir sind jetzt zum Beispiel Teil des Projektes „points4action“, arbeiten mit der Bildungsbehörde der katholischen Kirche zusammen und auch mit dem Jugendreferat der Stadt Graz. Solche Vernetzungen und Kooperationen halte ich für extrem wichtig.

Hospiz macht Schule“ gibt es seit mehr als 22 Jahren. Was macht dieses Angebot so erfolgreich?
Das hat wohl mehrere Gründe. Allen voran, gibt es einen großen Bedarf – Kinder und Jugendliche sind enorm an diesem Thema interessiert, es wird aber weder in den Familien noch in den Schulen entsprechend thematisiert. Im Gegenteil: Lebensende und Tod sind, speziell im Umgang mit Kindern, ein großes Tabu. Wir bieten mit „Hospiz macht Schule“ die Möglichkeit, sich diesem Tabuthema zu nähern – mit entsprechender Sensibilität und Professionalität ­– und es zu einem Lebensthema, das es letztlich ja auch ist, zu machen. Das macht dieses Angebot so wertvoll. Es gibt Schulen, wo wir seit mehr als zehn Jahren regelmäßig vertreten sind und bereits zum Lehrplan gehören. Aber es gibt auch noch viele weiße Flecken in der Steiermark – da wollen wir jetzt hin und öffnen dafür auch unser Angebot. Heißt: Wir kommen gerne auch nur für zwei Stunden in eine Schule, die sich diesem Thema widmen möchte. Grundsätzlich ist „Hospiz macht Schule“ jedoch keine Vortrags-Veranstaltung, sondern Selbsterfahrung im geschützten Raum.

Wie nehmen Kinder und Jugendliche das Angebot an – was interessiert sie am meisten?
Grundsätzlich machen wir die Erfahrung: Wenn man sie lässt, dann gehen Kinder viel natürlicher mit den Themen Lebensende und Tod um als Erwachsene. Sie sind sehr neugierig – bei Teenagern ist es sogar ein riesiges Thema. Sie erweisen sich da als sehr interessiert und ideenreich. Da werden unglaubliche Ressourcen aktiviert – das macht mir große Hoffnungen für die Zukunft. Scheu und Angst vermitteln dahingehend also offensichtlich wohl die Erwachsenen. Wir arbeiten daran, diese abzubauen. Da entsteht dann vor allem bei den Älteren auch großes Interesse daran, selbst in diesem Bereich tätig zu werden. Sie fragen oft, wo und in welcher Form sie diesbezüglich mitmachen und aktiv sein können. Das ist natürlich auch sehr wertvoll für die Nachwuchsarbeit im Hospizverein.

Welches Wissen, welche Erfahrungen bekommen Kinder dank „Hospiz macht Schule“ vermittelt?
Dass die Themen schwere Krankheit und Tod Lebensthemen sind – und dass alle Gefühle, die sie in diesem Zusammenhang haben, sein dürfen. Große Gefühle sind in Krisensituationen völlig normal und man darf sie auch zum Ausdruck bringen. Egal, ob man ein Kind, ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener ist. Traurig sein hat nun einmal viele Gesichter und jedes dieser Gesichter ist okay. Die Kinder lernen aber auch, dass sie in solchen Situationen auch selbst etwas tun können, da wird stark auf ihre Selbstwirksamkeit hingearbeitet.
Die Kinder und Jugendlichen erfahren aber auch, wo sie Hilfe und Unterstützung bekommen können. Durch uns bekommt der „Hospizverein“ aber auch ein Gesicht – das schafft Nähe und Vertrauen und ermutigt anzurufen, wenn Bedarf besteht. Und: Wir vom „Hospiz macht Schule“-Team bauen auch Brücken zu anderen Formaten des „Hospizvereins“, wie etwa zu „Letzte Hilfe für Kids und Teens“.

Was überrascht dich in diesem Zusammenhang immer wieder?
Vieles! Zum Beispiel, wie rasch das Handy uninteressant wird und Kinder und Jugendlichen voll mit dem Thema mitgehen. Wir erleben immer wieder, dass Kinder zum ersten Mal erzählen, dass etwa ihr Papa verstorben ist, als sie erst sieben waren. Oder dass sich der Opa erhängt hat. Das haben sie zuvor noch nie vor Kollegen oder Lehrern ausgesprochen. In unserem sicheren Rahmen, den wir garantieren, weil nichts den geschützten Raum verlässt, wird das möglich. Dazu braucht es aber auch speziell und gut ausgebildete Referentinnen. Das können wir bieten. Für die Kinder und Jugendlichen ist das jedenfalls ganz wichtig und wertvoll – das merken und hören wir immer wieder.

Was macht „Hospiz macht Schule“ mit dir?
Ich gehe aus solchen Stunden raus und bin beseelt und denke: Die Welt wird gut!

Was sind deine Pläne für Hospiz macht Schule?
Etwa: Die Strukturen zur steiermarkweit besseren Vernetzung der Ehrenamtlichen in unserem Bereich, die wir bereits aufgebaut haben, weiter festigen. Wir wollen auch Kooperationen mit anderen Einrichtungen forcieren – da haben wir bereits einiges in die Wege geleitet, sind mit der Caritas-Schule in Verbindung, ebenso mit den Landwirtschaftlichen Fachschulen. Überall dort wo Menschen lernen und lehren, wollen auch wir präsent sein. Deshalb ist „Hospiz macht Schule mit Lehrpersonen“ eine ganz große Zukunftsvision von mir und Tamara.

Was ist dein generelles Ziel bezüglich „Hospiz macht Schule“?
Da spreche ich für meine Stellvertreterin Tamara und mich: Wir möchten die Welt positiv verändern, sie besser machen – für Kinder, für Jugendliche, für Familien. Das mag man jetzt naiv oder großkotzig nennen, aber mit jedem Kind, das da aus einigen Stunden „Hospiz macht Schule“ rausgeht, machen wir die Welt ein bisschen besser. Das ist unser Ziel und davon sind wir überzeugt.

Was macht dir an diesem Ehrenamt die größte Freude?
Es ist sooo wichtig und schön, dieses Wissen und diese Erfahrungen weiterzugeben und anderen damit zu helfen. Ich weiß aus meiner Arbeit, aber auch aus meiner privaten Erfahrung, wie hilflos Eltern sein können, wenn es um Lebensende und Tod geht – ich weiß, wie hilflos Kinder und Jugendliche da sein können. Es ist für mich eine große Erfüllung, hier unterstützen zu können. Was jetzt „Hospiz macht Schule“ angeht, heißt das Kindern und Jugendlichen zeigen: Ihr seid stark, ihr habt Ressourcen, ihr könnt selbst wirksam werden. Ich will Kinder dahingehend sensibilisieren, auf andere zu schauen, empathisch und achtsam zu sein, offen zu sein für andere und Hilfe anzubieten. Hier etwas zu bewegen und bewirken ist absolut erfüllend – und keine Frage des Geldes.

Warum würdest du eine Hospizausbildung beziehungsweise ein Ehrenamt im Hospizverein empfehlen?
Weil sie einem ermöglicht, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Weil sie ermöglicht, sich mit großen Lebensthemen zu beschäftigen – in einem geschützten Rahmen. Das ist Selbsterfahrung auf höchstem Niveau. Weil ich dort eine Gemeinschaft erfahren kann, mit Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen, die aber alle dasselbe Bedürfnis haben: für andere Menschen da sein wollen! Und ihr Lohn dafür ist, dass sie dadurch auch für sich selbst etwas bekommen. Sie kommen in ihrer Suche nach tieferen Verbindungen zu Menschen näher ans Ziel.
Jeder der eine Hospizausbildung abschließt, trägt ein Licht hinaus. Auch wenn er nicht ins Ehrenamt geht. Darum kann ich es nur jedem empfehlen – spürt und erlebt es selber!

Wie siehst du generell den Stellenwert von Themen wie Lebensende und Tod in unserer Gesellschaft?
Prinzipiell sind diese Themen für die Menschen etwas ganz Großes – so lange sie „nur“ in den Nachrichten, in Krimis oder Computer-Spielen eine Rolle spielen. Aber wenn schwere Krankheit, Lebensende und Tod persönlich nahe kommen, Angehörige oder einen selbst treffen, wo es dann um echte Emotionen geht, da hat die Gesellschaft wenig Raum dafür. Da gibt es eine starke Zweiteilung – einerseits ist man geflasht von diesen Themen und andererseits ist es ein großes Tabu. Da kommt dann große Hilflosigkeit hoch, wenn der Opa dem Ende nahe ist oder die Arbeitskollegin schwer erkrankt. Das abzubauen, da zu unterstützen und begleiten, dafür sind wir vom Hospizverein Steiermark da.

Was würdest du dir dahingehend von der Gesellschaft wünschen?
Einen offeneren Umgang. Themen wie Sterben, Tod, Verlust oder Trauer sollen einen festen Platz im Leben jedes Einzelnen und generell in unserer Gesellschaft bekommen. Der vorherrschende Selbstoptimierungswahn der uns immer besser, jünger, kontrollierter machen soll, kommt jedoch gerade beim Thema Tod an einen „wunden Punkt“. Den Tod können wir nicht bestimmen. Wir wissen nicht, was da auf uns zukommt – da können wir nicht mehr alles kontrollieren und das führt zu Unsicherheit und Angst. Statt sich jedoch den Themen zu stellen, versuchen wir ihnen davonzulaufen. Etwas, das aber nicht gelingen kann…

(Johanna Vucak)

Karin Malle-Suppan im Wordrap

Mein Lieblingssong heißt… Remember When – von Alan Jackson
Zuletzt geweint habe ich… vor vier Wochen
Herzhaft lachen kann ich über… mich
Mein Traumberuf als Kind war… Zahnärztin
Könnte ich zaubern, würde ich… die Welt heller machen
Meine letzten Worte sollen sein… Ich habe mein Bestes gegeben – und manchmal war es richtig gut