Ich habe ein Kind – nicht an der Hand, aber im Herzen
Es war eine Bilderbuchschwangerschaft, die Hannah Meister und ihr Mann Markus genießen durften. Doch dann war es plötzlich still in Hannahs Bauch! Juliana Marie war dennoch sieben Tage lang der Sonnenschein im Leben der jungen Eltern. Es war vor allem die intensive Trauerbegleitung und der offene Umgang mit dem Thema, der ihnen half, den Schmerz zu bewältigen und das Erlebte zu integrieren.
„Juliana Marie war ein absolutes Wunschkind. Mein Mann und ich hatten gerade mit dem Hausbau begonnen, als ich schwanger wurde. Wir hatten eine Bilderbuchschwangerschaft“, kann sich Hannah Meister minutiös erinnern. Vor allem auch an jenen Tag am Ende der 36. Schwangerschaftswoche, als „ich Juliana Marie nicht spüren konnte. Mein Gefühl war nicht gut, ich wollte das abklären. Am Abend fuhr ich mit meinem Mann ins Krankenhaus.“ Die Erleichterung nach einem CT: Die Herztöne sind da! Dann kam das große Aber: Aber sie sind monoton. Doppler-Ultraschall. Auch alles in Ordnung. Dennoch entscheidet sich die Ärztin für einen Spontan-Kaiserschnitt. „Es war an einem Freitag, den 13., um 3:57 Uhr, als Juliana Marie die Welt erblickte – komplett weiß, kaum Blut – und sofort auf der Intensivstation landete“, schildert Hannah die Stunden, die sie wohl nie mehr in ihrem Leben vergessen wird. Zwei Stunden später teilten die Ärzte mit, dass Juliana Maries Zustand sehr kritisch sei und sie den Tag wohl kaum überstehen werde. Hannah: „Wir entschlossen uns zu einer Nottaufe – der Pfarrer hatte eine Geburtskerze und ein Taufkleidchen dabei. Juliana Maries Vitalfunktionen verbesserten sich – wir schöpften neue Hoffnung. In den nächsten Tagen haben wir so viel Zeit wie möglich gemeinsam verbracht, was angesichts von Corona nicht immer einfach war.“ Juliana Marie hat Muttermilch bekommen, sie war ruhig und friedlich. Am sechsten Tag nach der Geburt empfahlen die Ärzte ein Gehirn-MRT. „Als danach plötzlich fünf, sechs Leute dahergekommen sind – Ärzte, Pflegepersonal, Psychologen -, wusste ich: da ist etwas nicht in Ordnung. Juliana Maries Gehirn war massiv geschädigt, keine Lebensqualität, kein langes Leben – ein Körper, in dem kein Bewusstsein steckt. Die Ärzte rieten, sie gehen zu lassen! Mein Mann und ich sind durch den Wald gelaufen und haben überlegt, nach Optionen gesucht und erkannt: Es gibt keine! Wir haben unsere Eltern angerufen und feierten Abschied. Ihr erster Blick auf ihr Enkelkind war auch ihr letzter!“
„Den letzten langen Weg sind mein Mann und ich dann alleine mit Juliana Marie gegangen – acht Stunden lang haben wir sie im Arm gehalten!“, erzählt die beeindruckend starke Frau und lässt die Tränen kullern. Um dann gleich nachzusetzen: „Ich bin froh und dankbar, dass wir das geschafft haben!“ Zu all dem Unfassbaren, das Hannah erlebt hat, gibt es eine parallele Geschichte, die die Situation noch schwerer zu ertragen macht. Hannah war gleichzeitig mit ihrer großen Schwester schwanger. „Wir haben oft darüber gesprochen, wie die beiden Kleinen gemeinsam herumkugeln werden. An Sarah sehe ich jetzt den Weg, den Juliana Marie hätte gehen können.“
Hannah und Markus sind dennoch nicht verbittert. Im Gegenteil: „Wir sind durch dieses Ereignis zusammen- und über uns hinausgewachsen – und voll Liebe und Dankbarkeit.“ Nicht zuletzt dank intensiver Trauerarbeit und einem sehr offenen Umgang mit dem Thema. In diesem Zusammenhang ist Hannah auch von Monika Dunkl, Ehrenamtliche im Hospizverein Steiermark, begleitet worden: „Wir haben sehr viel Unterstützung aus dem Familien- und Freundeskreis erhalten, aber es tut auch gut, mit jemandem Unabhängigen zu sprechen. Da kann man dem Schmerz einfach Raum geben, weil man weiß, da ist jemand, der darauf geschult ist und das aushalten kann. Erzählen, reden, ohne zu urteilen.“
Hannah macht inzwischen selbst die Ausbildung zur Trauerbegleiterin – ebenso ihre Mama. Und sie setzt sich dafür ein, das Thema „Sternenkind“ zu enttabuisieren. Ganz oft führt ihr Weg auch zum Grab von Juliana Marie: „Es ist für mich und meinen Mann ein Ort, an dem wir uns überaus wohl fühlen. Ja, ich habe ein Kind. Nicht an meiner Hand, aber in meinem Herzen.“ Und ganz zum Schluss verrät Hannah dann auch noch ein süßes Geheimnis…
(Johanna Vucak)
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